LINDNER - Gastbeitrag für "Welt/Welt am Sonntag"
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER schrieb für die „Welt/Welt am Sonntag“ (aktuelle Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
„Alle Kunst ist Reduktion, Ellipse, Verzicht auf das fürs Werk nicht Notwendige.“ (Hartmut Kasper). In anderen Worten: Kunst ist die Fähigkeit, einen massiven Marmorblock auf das Wesentliche zu reduzieren – auf die Schönheit der Figur. Ein bedeutender Bildhauer wie Michelangelo taugt deshalb auch als Vorbild für Politiker, die sich an Staatskunst versuchen: Ein leistungsfähiger Staat braucht nicht die Masse – er muss auf seine wesentlichen Aufgaben reduziert werden. Gerade angesichts der Staatsschuldenkrise müsste Staatskunst darin bestehen, die Vollkaskoversorgung des Staates zu hinterfragen, unnötige Bürokratie zu beseitigen und die Verwaltungsapparate zu entschlacken. Nicht der übergewichtige, sondern der gesunde Staat kann die wesentlichen Lebensrisiken der Menschen absichern.
Wie vor jeder Bundestagswahl proklamieren alle Parteien links der Mitte aber das Gegenteil. Wie auf einer Auktion lautet des Motto: Wer bietet mehr? Mehr Aufgaben. Höhere Ausgaben. Steigende Steuern. „Milliarden für die Familienförderung“, „Neues Rettungspaket schnüren“, „Mehr Geld für Kinder, Mütter, Mieter und Rentner“, „Der Staat muss dem Sport helfen“. Für SPD und Grüne gehört das zum ritualisierten Brauchtum. Nun hat sich aber auch die Union Spendierhosen angezogen. Ungeniert wird die sozialdemokratische „Kernkompetenz“ plagiiert, mehr auf staatliche Lenkung als auf das Verantwortungsbewusstsein der Bürger zu setzen. Als würde Geld moralisch veredelt, wenn es durch die Hände von Politikern verteilt wird. Die Gründerväter der Sozialen Marktwirtschaft haben davor gewarnt, den Staat „zu einem Tag und Nacht arbeitenden Pumpwerk der Einkommen“ (Wilhelm Röpke) zu machen. Die Warnung ist verhallt. Heute herrscht offenbar bis in die Reihen der Union der Glaube vor, Wahlkämpfe würden mit der Ausdehnung sozialer Transfers in Form von Wahlgeschenken gewonnen.
In Umfragen halten fast achtzig Prozent der Bürger den Abbau von Schulden für wichtiger als die Aufrechterhaltung aller staatlichen Leistungen. Die Staatsschuldenkrise hat vor Augen geführt, welche Gefahren eine Politik auf Pump birgt. Deshalb ist eine Rückbesinnung auf gute Regeln und einen bescheidenden Staat im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft geboten. Hier ganz knapp in drei Punkten:
1) Der Staat schöpft seine Gestaltungskraft aus der Beschränkung. Der europäische Fiskalvertrag sorgt dafür, dass sich die Mitgliedsstaaten der Euro-Zone verpflichten, Schuldenbremsen in ihre nationalen Verfassungen aufzunehmen. Deutschland ist hier vorbildlich – seit 2009 steht ein entsprechender Passus im Grundgesetz. Politisch konsequent wäre es, wenn die Schuldenbremse in alle Landesverfassungen aufgenommen würde. Nach wie vor aber Fehlanzeige zum Beispiel im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen. Dabei wirkt die Schuldenbremse nicht als Selbstbeschränkung des Staats, wie von der politischen Linken moniert wird – sie eröffnet vielmehr neue Gestaltungsspielräume und ist damit zugleich „Start-Linie“, wie der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich richtig beschrieben hat. Statt Chancen zu verbrauchen werden neue Chancen geschaffen – für solide Haushalte, Generationengerechtigkeit und eine Fokussierung staatlicher Aktivität auf Bildung, Infrastruktur und Sicherheit. Im zweiten Schritt muss die Wirkungsmächtigkeit der Schuldenbremse erhöht werden – es kann nicht sein, dass ein höchstrichterlich monierter Verfassungsbruch vom Landesfinanzminister achselzuckend ignoriert wird. Wir brauchen eine Schuldenbremse 2.0 – mit automatischen Sanktionen.
2) Die Schuldenbremse braucht zweitens ein Pendant: Die Steuerbelastungs-Grenze. Die rot-grünen Steuerpläne laufen darauf hinaus, den Bürgern in der Spitze mehr als die Hälfte ihres Einkommens wegzunehmen – die Staatsquote wird weiter steigen. Dies gefährdet die wirtschaftliche Dynamik unseres Landes. Deshalb brauchen wir eine Belastungsbremse als Leitplanke im Grundgesetz. Die Mitte der Gesellschaft ist solidarisch. Aber ihre Solidarität ist eine wertvolle Ressource, die nicht fahrlässig verwendet werden darf. Der Verteilungsstaat darf ihr nicht die finanzielle Freiheit nehmen, die die Mittelschicht für Eigenvorsorge und der innovative Mittelstand für Investitionen benötigen. Die Kuh, die man melken möchte, darf man nicht schlachten.
3) Statt eines höheren Taschengeldes sollte der Staat seinen Bürgern zukünftig gutes Recht (Paul Kirchhof) versprechen. Dies wäre zugleich auch eine Rückbesinnung auf ein zentrales Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft: Gute Regeln.
Diese Agenda zeigt: Die Konsolidierung des Staates ist eine Chance für die Liberalen. Wenn sonst nur nach dem Staat gerufen wird, muss eine Partei die Eigenverantwortung ins Zentrum rücken. Wenn alle anderen Parteien nur an das Verteilen von Wohlstand denken, muss eine Partei für gute Rahmenbedingungen und das Erwirtschaften eintreten. Das sind wir.